AWO`s auf der Insel

  • So, los gehts, hab gerade kurz Zeit.


    AWO ist die Abkürzung von Avtowelo, das war eine sowjetische Firma, der die Fahrzeugbetriebe in Thüringen 1945 unterstellt wurden. Der Chef dieser Einrichtung erteilte 1948 den Befehl! jawoll, ein Einzylinder-4-Takt Motorrad in Suhl zu entwickeln. Da im BMW-Werk Eisenach, welches bis zum Krieg alle PKW der Marke und später die Wehrmachtsgespanne fertigte, konstruktive Unterlagen vorhanden waren, benutzte man die als Vorlage (BMW R24 und R25). Heraus kam die sog. Touren AWO ab 1950. Ab glaube 1955 hieß der Laden wieder Simson.


    Erste 2 Rennmaschinen 250ccm waren 1952 Einsatzbereit, dann folgte eine Serie von 15 Verkaufsmaschinen AWO RS250-1. Leistung ca. 24PS. Der Motor war stoßstangengetrieben, Kardanantrieb HR, RS250-2 Umbau Hinterradfederung von Parallelfederung auf Schwinge.
    Danach -4 (1955) mit kettengetriebenen Nockenwellen im Kopf (30PS), danach 1958 die -6 Zweizylinder zuletzt 33PS (Versuch mit Desmo- Ventilsteuerung) und 1959 dir 350-7 (40PS). Danach ordnete die DDR- Behörden schlichtweg an, weitere Arbeiten einzustellen, weil die Zschopauer MZ weit größere Aussichten auf Erfolg hatten.


    Die Leute hinter den Reisen der AWO- Truppe sind Stromhardt Kraft und Keith Philpot aus GB. Man lernte sich 2015 auf der IoM kennen, weil SK eine AWO Sport auf dem Parkplatz mit britischem Kennzeichen hat stehen sehen. Der Besitzer war Keith, ein Motorsportenthusiast und ehemals Präsident einer Fußball- Amateurliga. SK war Motorradrennfahrer i. d. 60er Jahren und durfte 3x beim Heim- GP starten sozusagen mit Wildcard. 1968 war er in der 250er der beste DDR- Clubfahrer im Training und wurde von MZ angesprochen, ob er in der Woche darauf beim Brünn- GP die Werks- MZ fahren würde. Das Sachsenring- Rennen endete fürchterlich: An 7. und 8. Stelle liegend ging seine luftgekühlte MZ an der schnellsten Stelle fest, er flog ab und kam erst ca. 80m mitten auf der Strecke zum liegen. Die Streckenposten zerrten ihn von der Strecke, weil die schnellen 4- Zyl. Yamaha (Read, Ivy) bald auftauches sollten. In dieser kurzen Zeil erlitt er 11 Knochenbrüche, verlor die unteren Backenzähne auf einer Seite, ein Glassplitter steckte in einem Auge, überall großflächige Hautabschürfungen. 9 Monate Krankenhaus folgten, danach war Schluss mit Motorradrennen.


    Keith und Stromhardt beschlossen 2015, einen Besuch der AWO- Truppe vorzubereiten, es gingen 70 mails hin und her, ein Start dort ist an viele Regeln gebunden (Lizenzen, Versicherungen, technische Details, ...) Ohne Keith wäre das nicht gegangen, er nahm Verbindung auf zu 5 Motorsportverbänden und -clubs, es wurde ein Campingplatz organisiert und Plätze im Fahrerlager. Unter anderem benötigt man eine Versicherung, das im Fall eines tödlichen Unfalls der Leichnam wieder zurück ins Heimatland gebracht wird. Schließlich rollten am 24.8.2016 7 Transporter und Wohnmobile in Rotterdam auf die Fähre nach England.

  • Keith hatte in der Nähe des Fahrerlagers von Douglas den Pfarrer einer Kirche beredet, das Team hier campieren zu lassen. Man war nun am Sehnsuchtsort angekommen. Am nächsten Morgen stand die erste Hürde bevor: Die Papier und Fahrzeugabnahme. Alle hatten Bammel, man wusste nicht wie die ticken dort und mit Machtdemonstrationen arroganter Kommissäre hatte man schon oft zu tun gehabt. Schön, das man schon am Eingang des Fahrerlagers angesprochen wurde: "Sind das die Simsons?" Man hatte im Rennprogramm 1 Seite unter der Überschrift "Meet the Simson" gestaltet. Helmut, mein Bekannter hier aus der Nähe, hatte extra eine Delphin- Verkleidung nachgebaut, mit der seine Maschine früher gefahren ist.


    Die Abnahme war sehr genau, es wurde an jeder Speiche gerüttelt, jeder Sicherungsdraht geprüft, aber man war ja zum ersten Mal dort und wer weiß, was denen so alles schon vorgestellt wurde. Aber immer freundlich, Helmut sagte, hier werden keine Probleme gemacht sondern gelöst. Bei der Vorstellung von Helmuts verkleideter Maschine ließ sich der Chairman des Manx Motorcycle Club zu der bereits erwähnten Bemerkung hinreißen. Es war für alle ein "special day".


    Schließlich geriet der Tag noch zu einem Höhepunkt der Reise: Der Fernsehsender ITV4 mit Steve Parrisch als Reporter interviewte Keith und einen der Fahrer, die Maschinen wurden am Eingang des Fahrerlagers präsentiert, sofort mit einer Traube aus Fans darum. Das kannte man von hier nicht so.


    Am nächsten Tag ging es früh raus, es wurde mit 2 Kleinbussen die Strecke abgefahren. Allen Fahrern (unter ihnen 2 Ladys) fielen die enormen Anstiege und Gefälle der Strecke auf, die man von den Videos nicht kannte. Die 240 Kurven kann man sich dabei natürlich nicht merken. Ein Engländer, der 4mal dabei war, sagte, des er nun die ersten 20km genauer kennt und warnte: "Passt auf, das macht süchtig!"


    Stromhardts Motorradkarriere verlief von ca. 1960 bis zu dem bereits geschilderten Unfall. Sein Vater war im Krieg geblieben, seine Mutter hatte noch 3 Schwestern, die älteste davon, also seine Tante, hielt den Laden zusammen. Alle Entscheidungen wurden im Familienrat getroffen, wobei die Stimme der ältesten das meiste Gewicht gehabt haben soll. Als nun Stromhardt von seinem Plan erzählte, Rennen zu fahren, gab es erst mal das pure Entsetzen.


    Aber Stromhardt, der gut mit Frauen kann, überzeugte die Runde schließlich. Die alte Tante sagte zu, das fehlende Geld für eine MZ RE125 vorzustrecken, wenn er jeden Monat 50,- Mark zurückzahlt. Gesagt, getan; die Maschine wurde gekauft und mit dem Cousin als Helfer ging es zu den ersten Rennen. Als es anfing zu laufen, nahmen sie erstmals eine Begleiterin mit. Ab da wurde bei jedem Rennen eine andere Mieze mitgeschleppt. Das ging eine ganze Weile, bis die alte Tante Wind davon bekam. Sie machte dem Treiben ein Ende mit der Drohung, ihre Unterstützung sonst sofort einzustellen. Von da an gingen die beiden wider allein auf Rennen.

  • Ich kenne die AWO Geschichte auch ein wenig,aber bei weiten nicht so wie du. In meinen Augen ein wunderbarer Bericht den du da ablieferst. Wärst bestimmt ein guter Autor. :respekt:

  • Mittlerweile hatte die Simson- Gruppe ihr Lager auf einem Sportplatz in Kirk Michael aufgeschlagen. Bevor es richtig ernst wurde, ging es zum VMCC Festival of Jurby. Das ist ein kleiner Ort ganz im Norden, ganz dünn besiedelt. Aber es gibt einen alten Militärflugplatz und weil der nicht mehr benutzt wird ist klar, was auf der IoM daraus wird. Angereist waren wiederum tausende Motorradverrückte um die historischen Maschinen zu bestaunen und sich auszutauschen.


    Hier traf Stromhardt den ehemaligen GP- Piloten Peter Willams wieder, der 2 Tage vor Stromhardts schwerem Sturz ebenfalls einen Trainingsunfall am Sachsenring hatte und sogar im gleichen Krankenhaus in Lichtenstein lag. Angereist war auch der MZ- Club der Insel mit Maschinen, wo einen der Anblick der Bilder schon graut: Total abgerockte Kisten.


    Für einen Sonderlauf der alten Helden, dabei John McGuiness und Freddie Spencer, fragte Steve Parrish bei den "Simson- Boys", (so hießen die nun hier) nach einer AWO RS an. Diese wurde ihm natürlich zur Verfügung gestellt, einer der Fahrer hatte 2 Maschinen dabei. Das ITV4 berichtete wieder ausführlich live stundenlang, sogar mit einer Onbord- Kammera. Nach den Läufen wurden die Maschinen wieder im Fahrerlager präsentiert, dabei erneut riesiges Interesse unter den Besuchern. Die Simson- Leute sagten, schon für diesen Tag hätte sich der ganze Aufwand gelohnt.


    Nach der Veranstaltung fragte noch einer der Fahrer seine mitgereiste Freundin, ob sie ihn heiraten möchte. Sie bejahte das Anliegen, man köpfte eine Flasche Sekt. Keith fragte, wo denn der Verlobungsring sei, aber daran habe man in der Hektik der Vorbereitung nicht gedacht. Er wühlte darauf alle mitgebrachten Schraubenkisten durch, bis er eine passende Sechskantmutter für die Verlobte hatte.


    Noch mal in die fernere Vergangenheit: Stromhardt´s Motorsport- Leidenschaft flammte einige Jahre nach seinem Unfall wieder auf, es sollte aber nun auf 4 Rädern weitergehen. So baute er sich erst eine Rennpappe auf, später fuhr er auch noch einen Formel Rennwagen B8. Er präparierte Motoren für andere Fahrer und hatte sogar im Tausch einige Werkzeugmaschinen ergattert. Aber er besaß keinen Kraftstrom- Anschluss, den gab es für Privatleute kaum. Also rückte er zum Bürgermeister, der war seinem Anliegen zugetan und riet, dies für eine Wasserpumpe zur Trinkwasserversorgung zu beantragen, er würde das bestätigen.


    Stromhardt tat dies mit einem Brief an den Versorger, und beantragte einen Kraftstrom- Anschluss. Unterschrift: Stromhardt Kraft. Die Antwort kam umgehend, was er sich erlaube, verklapsen lasse man sich nicht usw... Wieder hin zum Bürgermeister, der holte aus einem Schrank ein Päckchen guten Kaffee aus dem Westen und sagte: Das hilft meist. Also hin, Stromhardt wies sich aus, gab den Kaffee ab, die Mitarbeiterin wurde blaß und rannte zum Abteilungsleiter. Der entschuldigte sich ganz förmlich für das Versehen und unterschrieb den Antrag.

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  • 5 Tage, nachdem man die Fähre nach England genommem hat, war es nun soweit. Fast 3 Jahre nach dem ersten Gedanken und 1 Jahr intensiver Vorbereitung sollten nun die AWO- Rennmaschinen erstmals auf der TT im Rahmen einer offiziellen Rennveranstaltung starten. Früh, bevor die Strecke gesperrt wurde, ging es von Kirk Michael nach Douglas, wo die Simson- Boys Plätze im Fahrelager nahe der Startlinie erhielten.


    Vorher waren noch 2 Rennen, man schaute zu und bemerkte Spendensammler, die zu den Zuschauern gingen. Die 3 Rettungshubschrauber, welche an den Renntagen im Einsatz sind, werden hauptsächlich von Spenden finanziert und jeder Zuschauer gibt nach seinen Möglichkeiten.


    15:00Uhr war es nun soweit, der Marshal winkte die Simson- Boys (unter ihnen 2 Frauen) zum Vorstart. Da aber so ca. 170 Fahrer die "Lap on Honour" bestritten, dauerte es noch fast 1 Stunde, bis es losging. Ca. 16:00Uhr, rund 66 Jahre nach dem Bau der Motorräder, nahm nun einer nach dem anderen dieses Kurs unter die Räder. Bis auf eine Maschine erreichten alle das Ziel. Eine der Fahrerinnen hatte unterwegs unschöne Motorgeräusche festgestellt und fuhr mit abgestelltem Motor in einem Ort gerade hinein in ein offenes Tor eines Wohngrundstückes. Die Anwohner lassen extra dafür ihre Zufahrten offen. Es war auch schon ein gestrandeter BMW- Fahrer da, die Gastgeber freuten sich, das nach vielen Jahren mal wieder Fahrer bei ihnen strandeten. Für solche Fälle werden Speisen und Getränke bereitgehalten. Es ist nämlich nicht so, das nach jedem Rennen der Schandwagen die Liegengebliebenen aufsammelt, das müssen dann die Teams am Abend erledigen, wenn die Strecke wieder offen ist. Das kann etliche Stunden dauern und in der Zwischenzeit zeigen sich die Anwohner als vorbildliche Gastgeber.


    Die im Ziel machten erst mal ein paar Flasches Sekt auf. Was noch folgte war eine Motorradaustellung des VMCC am nächsten Tag. Danach ging es zurück mit dem festen Vorsatz, es noch mal zu machen.


    Das war 2019 und ich will davon nur eine Anektode schreiben. Helmut, mein Bekannter, nahm diesmal eine MZ BM 250 mit (Bischof- Martin), welche in ca. 10 Exemplaren in den 60er Jahren privat gefertigt wurde und auf einer solchen erlebte auch Stromhardt seinen geschilderten Unfall. Beim VMCC Festival of Jurby saß Helmut beim Essen und hinter ihm unterhielten sich einige Engländer, wobei immer mal MZ... MZ heraustönte.


    Helmut bat Keith, der wieder dabei war, denen zu erklären, das er es ist, der die MZ fährt. Dieser sagte ihm erstmal, das es der Clubpräsident mit seinen Freunden ist, die da sitzen. Im folgenden Gespräch erzählte der Präsident, das er früher 3 MZ- Rennmaschinen besessen hat, diese aber wieder verkauft habe: Eine 125er 1- Zylinder und 2 250er Zweizylinder. Er habe gehört, das mittlerweile eine der Zweizylinder wieder angeboten wird, aber für den Preis nicht verkäuflich ist. Der Verkäufer wollte in früheren Angeboten 49900,- Pfund.


    Dennoch hatte Keith Verbindung aufgenommen, Helmut hat anhand historischer Bilder herausgefunden, das die Gabel so in dem Jahr nicht gefahren wurde und noch so einiges. Aber weil 1961 nur 5 250er Rennmaschinen im MZ- Werk aufgebaut wurden, was auch in England bekannt ist, wird man sie nicht als Schnäppchen bekommen. Dennoch konnte man sich auf einen erträglichen Preis einigen. Keith brachte die Maschine im November 2019 bei einem Besuch in Holland mit nach Aachen, wo sie Helmut abholte. Seitdem steht die Maschine in einem Ort 5km von mir entfernt und wird nun auf ihren ersten Einsatz seit über 20 Jahren vorbereitet.


    Ende

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  • Ich war 2019 auch zur Classic TT..... was hab ich da verpasst....in Jurby waren wir auch und haben sogar einen Preis gewonnen....


    Wahrscheinlich war ich in Jurby sooo sehr auf die 250´er 6-Zylinder fixiert, dass ich alles andere fast nicht wahrgenommen habe....

    wer nicht frägt bleibt dumm

  • Hallo, na die AWO RS sind ja nun nicht die ganz großen Aufreger, und wenn da eine 6- Zylinder Honda steht... :shock:


    Gardner: Falls Dich die AWO- Geschichte interessiert, es gibt ein Buch von 2011: AWO- Die Geschichte einer Legende von Jürgen Kießlich. Vielleicht gibts das noch irgendwo. Sind auch alle Renn- und Geländemaschinen drin, die Escorte, Prototypen, Umbauten, der 700er Boxer usw.